Hier im Piemonte „am Fuß der Berge“ auf lateinisch „ad pedem montium“ gibt es viel zu entdecken. Dieses im Vergleich zu vielen anderen italienischen Regionen weniger touristisch erschlossene Gebiet ist eine wahre Offenbarung. 

Wir lieben es individuell zu reisen, informieren uns gern bei Freunden vor Ort, lernen Unbekanntes und Unbekannte kennen, die oft zu Freunden werden. Italien mit dem eigenen Auto. Was gibt es Schöneres? Unser Ziel: Govone im Piemont. Aber dazu später.

Foto: © Michael Schulze

Govone

Unser Herz als Weinliebhaber schlägt höher beim Anblick der Weinberge. Die zahllosen piemontesischen Köstlichkeiten verführen zum Probieren. Ausgedehnte Spaziergänge, entspannte Radtouren oder anspruchsvolle Trekkingtouren helfen die zusätzlichen Kalorien wieder loszuwerden. 

Foto: © Michael Schulze

Schloss Barolo

Unsere Freundin Ursula lebt mit ihrem italienischen Mann Michael in Govone. Sie ist zertifizierte Reiseleiterin, welch ein Glück für uns. Da bekommen wir die richtigen Tipps.

Und für Euch habe ich einen ersten Gastbeitrag von Ursula über das Schloss Govone bereit.

Fotos: © Michael Schulze

Text: Dr. phil. Ursula von den Driesch

Castello di Govone, ein Juwel mit eigener Geschichte

Wir haben Michael und Gudrun Schulze zu Besuch in Govone. Neben gemütlichem Essen, Wein, Weinproben und vor allem viel ratschen, machen wir auch „in Kultur“. Michael, mein Mann, nicht Michael Schulze, vergräbt sich zwecks wissenschaftlicher Arbeit normalerweise während dieser Ausflüge in seinem Büro. Plötzlich und unerwartet bietet er an, unsere Freunde zu einem Besuch des Schlosses von Govone nicht nur zu begleiten, sondern sie durch die Räume zu führen. Diese Tatsache an sich ist schon aussergewöhnlich und bedarf einer Erklärung. Die Lösung hängt mit der Geschichte von Govone, seinem Schloss und der Familie meines Mannes zusammen. 

Govone? Wo liegt dies? Wir sind im Piemont, „pied dei monti“, am Fuss der Berge, der Alpen. Eingerahmt vom majestätischen Kranz der ligurischen, cottischen und gajischen Alpen, liegt Piemont im Norden Italiens. Genauer gesagt, liegt Govone zwischen Alba und Asti, zwischen Barolo, Trüffeln und Asti Spumante. Die sanften Hügel der Langhe und die etwas schrofferen des Roero, jeweils an einem Ufer des Flusses Tanaro, geben den Blick frei auf viele Burgen und Schlösser. Im italienischen weist der gleiche Begriff, Castello, schon auf die Entstehung hin. Aus mittelalterlichen Burgen wurden in der Barockzeit Residenzen, mit Parkanlagen geöffnete Schlösser. 

Fotos: © Michael Schulze

Dies trifft auch auf Govone zu, doch nun etwas mehr zur Geschichte. Als römischer Wach- oder Signalturm entstanden, man kann sich heute noch vorstellen, wie man von einem Hügel zum nächsten die Signale sendete, wurde dieser im Mittelalter zu einer Burg ausgebaut. Seit dem Jahr 1202 war die Familie Solaro Feudalherr von Govone, immer in engen Beziehungen zu der Familie der Savoyer. Im 17. Jahrhundert wurde die befestigte Burg zum Residenzpalast um- und ausgebaut. Die wunderschöne Fassade ist einem Schloss der Savoyer, der Venaria Reale, südlich von Turin gelegen, nachempfunden. Gestaltet wurde sie vom genialen, in seiner Zeit führenden Architekten Guarino Guarini. Schauen Sie in Turin, was er an Meisterwerken hinterlassen hat.

Fotos: © Michael Schulze

Siedlungen entstanden auf den Hügeln rund um die mittelalterlichen Burgen
aus Burgen wurden Paläste

Die Familie Solaro hatte einen berühmten Angestellten, den Denker und Philosophen Jean Jacques Rousseau, der als Hauslehrer die Prinzessinnen unterrichtete. Sein Freund und Kollege soll angeblich versucht haben mit einer der hübschen Prinzessinnen anzubändeln. Zur Strafe wurden Rousseau und sein Freund des Ortes verwiesen. So begann Rousseaus Arbeit als Philosoph, dessen Ideen und Schriften Berühmtheit erlangten.

Eine Moderichtung im Barock: Chinoiserie

Doch zurück zur Geschichte des Schlosses von Govone. Um 1750, zur Blütezeit der Mode chinesische Kunst und Möbel zu besitzen, wurden viele Schlösser im In- und Ausland diesem Zeitgeschmack entsprechend angepasst. Auch die Grafen von Solaro ließen ihre Salons im Stil der Chinoiserie umgestalteten. Ursprünglich waren chinesischen Papier-Tapeten preisgünstiger als aufwendige Seidentapeten. In Govone findet man sehr gut erhaltene, auf chinesischem Reispapier gemalte Szenerien, die unterschiedliche Themen behandeln:  Porzellanproduktion, Reisanbau, Seidenproduktion, Teezeremonie und höfisches sowie bäuerliches Alltagsleben.

Dieser Wandschmuck ist eine Rarität. Weltweit existieren nur noch vier vergleichbare Kunstwerke.

Fotos: © Michael Schulze

Von der Zucht der Seidenraupen bis zur Qualitätsprüfung der fertigen Seidenstoffe.

Wann wurden die Tapeten gemalt?

Die Tapeten wurden 1745 in China gemalt. Die Vorlagen für diese detailgetreuen Darstellungen lieferte eine Enzyklopädie aus der Song-Dynastie, von 960 bis 1279 die herrschende Dynastie im Kaiserreich China. Wir bestaunen also heute das Leben im frühmittelalterlichen China. Man kann sich geradezu in den Zeichnungen verlieren: trocknen, bemalen und brennen der handgeformten Schalen. Die Seidenherstellung: füttern der Larven, auskochen der Kokons, weben der Seide bis zur Qualitätsprüfung. Hier vergisst der Betrachter Zeit, Magenknurren und Lust auf ein Glas Wein. Er staunt nur noch!

Tee-Zeremonie

Fotos:© Michael Schulze

Alltag im mittelalterlichen China

Szenen eines chinesischen Theaters, der Besuch eines Mandarins, die höflichen Verbeugungen, Jagd- und Interieurszenen vermitteln einen so detailgetreuen und historisch fundierten Einblick, dass man Mühe hat, sich abzuwenden und weiter durch die Räume zu streifen. Wenn Sie die Zeichnungen betrachten, entdecken Sie den europäischen Händler. Sie erkennen ihn an europäischer Kleidung im Barockstil und seiner langen Nase. Schon im Mittelalter bezeichneten die Chinesen uns Europäer als „Langnasen“. Wer mag, kann auch die Lehre des Konfuzius in einigen Szenen entdecken und darüber nachdenken.

Fotos: © Michael Schulze

UNESCO Weltkulturerbe

Im dritten Raum mit Chinoiserie werden wir in das Reich von Flora und Fauna entführt, ein vielleicht geläufigeres Thema. Aber auch hier sind die Detailtreue und die Kunstfertigkeit besonders ausgeprägt. Nicht zu vergessen, die eingestreute Werbung, die die chinesischen Künstler für ihre Heimat gemacht hatten, indem sie Pagoden und Landschaften darstellten, die heute, wen wundert es, UNESCO Weltkulturerbe sind. Marketing vor 250 Jahren?

Fotos: Michael Schulze

Trompe-l’œil Malereien – „Täusche das Auge“

Streifen wir weiter durch das Schloss und kommen zum Ehren- oder Ballsaal. Wenn die historischen Quellen nicht eindeutig das Entstehungsdatum mitteilen würden, könnte man denken, in einem Barocksaal zu stehen. Die Ausmalung mit trompe-l’œil Malereien ist so perfekt, wie es im Barock üblich war. Ein grosser Meister seines Fachs muss am Werk gewesen sein. Wir sind hingegen im 19. Jahrhundert, Luige Vacca und Fabrizio Sevesi, erhalten den Auftrag, den antiken Mythos von Niobe an Decken und Wänden darzustellen. Als Vorlage diente ihnen die marmorne Skulpturengruppe, die sich in den Uffizien in Florenz befand, die die Savoyer anlässlich einer Hochzeitsfeier dort gesehen hatten. Kein einfaches Unterfangen, lebensgrosse, optische Täuschungen an Wänden und gewölbter Decke darzustellen. Die dramatische Geschichte, dass fast alle Kinder der Niobe aufgrund von Neid getötet wurden, lässt uns erschauern. Figuren werfen Schatten, obwohl nur zweidimensional gemalt. Die ordentliche Hausfrau entdeckt Spuren von Staub auf den Schultern der „Statuen“, auch dieses ist eine optische Täuschung. Kannelierte korinthische Säulen, ebenfalls nur gemalt, scheinen die schwere und rundumlaufende Balustrade zu tragen. Die Decke bringt uns mit dem Olymp in Kontakt, einige seiner Bewohner sind Latona, Apollo und Diana. Hier im Götterhimmel dominieren Farben. Die Illusion der Räumlichkeit wird durch das Spiel von Licht und Schatten in den Nuancen weiß, grau und schwarz erreicht.

Es gäbe noch viel zu erzählen, kommen Sie selber und schauen!

Fotos: © Michael Schulze

Savoyen – eine Dynastie wird zum Königreich Italien

Der aufmerksame Leser fragt sich, was all diese Kostbarkeiten mit der Familie meines Mannes zu tun haben. Nach dem Erlöschen der Linie der Solaro, ging das Schloss von Govone zunächst an die Savoyer über, die das Schloss zehn Jahre als Sommerresidenz nutzen. Nachdem Viktor Emanuel II aus dem Haus Savoyen vom italienischen Parlament zum König von Italien ausgerufen wurde, flossen alle Gelder zum Ausbau der Residenz in Turin. Repräsentativere Sommer- oder Jagdresidenzen, beispielsweise das Schloß Stupinigi waren angesagt. Mit der Eroberung Roms am 21. September 1870 zogen die Savoyer als Könige von Italien nach Rom und gaben ihre Schlösser im Piemont auf. Einige standen leer und verfielen langsam. Seit 1994 ist die Gesamtheit dieser Schlösser, einschließlich Govone, Unesco Weltkulturerbe.

Foto: © Michael Schulze

Sommer- und Jagdresidenz Stupinigi

Familie Segre-Ovazza

Eine Bankiersfamilie aus Turin, Segre-Ovazza, kaufte das Schloss von Govone 1892 als Kapitalanlage. Der Grossvater meines Mannes, Arturo Segre, verbrachte im Schloss seine Kindheit. Die Gemeinde Govone zeigte immer Interesse am Schloss und wollte dieses unbedingt erwerben. 1898 war es soweit. Die Gemeinde kaufte von der Bankiersfamilie Segre-Ovazza das Anwesen und verlegte Büros, Kindergarten und die Bibliothek in das Schloss. Um den Kaufpreis aufbringen zu können, wurde zunächst das Mobiliar in einer Auktion versteigert. So kamen die wunderschönen Empiremöbel in die Patrizierhäuser der Umgebung. Auch in Nizza sind schönste Stücke in einem Museum zu bewundern.

Schloss Govone

Die Familie Segre ist dem Schloss immer noch verbunden, so sehr, dass mein Mann sein geliebtes Büro verlässt, um unseren Freunden Michael und Gudrun das Schloss, sein Schloss, zu zeigen. Seine Ur-Grossmutter ging im Schlosspark spazieren als die Faschisten und deutschen Verbündeten den Ort beherrschten. Sie salutierten höflich vor der feinen alten Dame, nicht wissend, dass sie eine Jüdin war. So verbindet sich die Geschichte von Govone mit der grossen Weltpolitik und mit der privaten Geschichte einer einzelnen Familie. 

Wenn ihr, wie wir, mehr über „Piemonte“ oder andere Regionen Italiens erfahren möchtet, Reisetipps, Führungen oder Organisation von Unterkunft, Kultur, Weinverkostung und vieles mehr möchtet, dann ist Ursula die richtige Frau für Euch. Deutsch, Englisch, Italienisch? Wie möchtet ihr mit Ursula  schreiben, sprechen? In welcher Sprache möchtet ihr eine individuelle Führung durch Städte, Schlösser, Museen, Landschaft oder Weingüter erleben?

Dr. phil. Ursula von den Driesch www.bid-vip.eu +39 329 913 2088